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ALEXANDER FORER. DIE VIER GEDICHTE.

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Frontispiz von "Dichtergrüße" 1905
Ja, ich bin stolz, diese Gedichte von Alexander Forer als erster bei Lyrikheute posten zu können. Es gehört Mut dazu, etwas zu schreiben, was nicht im nach Literaturpreisen schnappenden Mainstream mitfloatet. Und niemand sollte sich täuschen: A.F. weiß ,warum er so und nicht anders schreibt! Ich habe diese vier gereimten Texte atemlos gelesen. 16. 2. 2015 G.S

Du


Eines Abends, die Sonne vereint sich mit der Erde,
Und übers Firmament erstrahlt das schönste Rot,
Bote von Frieden, Vergessen, von Leben und Tod,
Da weiß ich, dass ich mit dir glücklich werde.

Um mich herum ist ein Nebel aus Farben und Lichterglanz
So rasant sind deine Bewegungen, so anmutig dein Tanz.
Ich will nur dich, nur dich, und gar nichts sonst mehr
Und alles, was sie mir anderes bieten,
Alles, was sie einst hatten und was sie einst liebten
Ja, alles andere betrifft mich nicht mehr.

Kein Gott vermag deinen Körper zu formen
Dessen Seele hier ihre unendlichen Bahnen zieht.
Und meine lächelnden Lippen, wollen die Worte formen,
Die fordern, dass alle Ahnung nun wirklich geschieht:

„Komm in meine Arme, um die Welt will ich dich tragen,
Denn du bist das Glück und sei es mein Ende.“
Und ich höre mich fragen und ich sehe dich sagen:
„Ich gebe mein Leben in deine Hände.“


(zu) bleiben

Ich gehe durch einen Gang, der ist nicht eng, dafür ist er lang.
Ich gehe an wenigen Menschen vorbei,
Keiner beachtet mich, ihre Gesichter schauen mich nicht an,
Und ich kenne keinen von ihnen.

Ich gehe an einer alten Frau vorbei,
Die schiebt einen Rollator vor sich her,
Sie keucht und stöhnt und atmet schwer.

Ich gehe an einem jungen Mann vorbei,
Der hat beide Hände in den Taschen,
Der trägt eine Tüte mit Zigaretten und eine mit Flaschen.

Ich laufe durch einen Gang, der ist nicht eng, dafür ist er lang.
Ich laufe an mehreren Menschen vorbei,
Nur wenige beachten mich, ihre Gesichter schauen mich kaum an,
Und ich kenne fast keinen von ihnen.

Ich laufe an zwei kleinen Mädchen vorbei,
Die sind wohl Zwillinge und gehen Hand in Hand,
Am Hals glänzt ein Kettchen und im Haar ein silbernes Band.

Ich laufe an einem großen Kerl vorbei,
Der hat seine Arme um sich geschlungen und hält sich verdeckt,
Und wenn man ihn anschaut, dann schaut er verschreckt.

Ich renne durch einen Gang, der ist nicht eng, dafür ist er lang.
Ich renne an vielen Menschen vorbei,
Die meisten beachten mich, ihre Gesichter schauen mich direkt an,
Und ich kenne die meisten von ihnen.

Ich renne an einer mageren Schwarzen vorbei,
Ihre Adern stehen hervor wie die Federn ab von einer Narrenkappe,
Und ihre Haut ist tot, wird langsam grau und bröselt wie Pappe.

Ich renne an einem schneeweißen Säugling vorbei,
Der kreischt und schreit und fängt an zu weinen,
Und seine Decke fängt Feuer, so wild zappelt er mit den Beinen.

Ich fliege durch einen Gang, der ist nicht eng, dafür ist er lang.
Ich fliege an ganzen Völkerscharen vorbei,
Alle beachten mich, ihre Blicke durchbohren meine Haut,
Und ich kenne jeden von ihnen.

Ich fliege an krüppligen Gnomen vorbei,
Die fletschen einen hässlichen, einzelnen Zahn
Und fassen sich an den Kopf, verschreckt vor dem eigenen Wahn.

Ich fliegen an uralten Greisen vorbei,
Die sabbern und sind runzlig und die Haut voll Kerben
Und sie vegetieren dahin und vermögen doch nicht, zu sterben.

Und am Ende des Ganges, nicht weit, erblicke ich ein verlockendes Licht,
Doch ich wende mich zu ihnen um und sage voller Zuversicht:
„Ich weiß ich könnte gehen, denn die Freiheit ist nah.

Doch ich helfe euch allen, ich bleibe da!“


Ohne Titel


Wenn du durch die Stille starrst und es ist Nacht
Und du hast die lange Nacht mit Freunden zugebracht,
In der langen Nacht lag ein Mädchen dir zu Füßen
Und du weißt ihr werdet euch wiedersehen und irgendwann küssen
- Nun erfüllt dich die Stille der Nacht
Und du denkst alles, was ich wollte, hab ich vollbracht,
Woher willst du wissen, dass du in Wahrheit nicht weit entfernt im Bett liegst und träumst,
Dass du in Wahrheit nicht friedlich im Bett liegst und träumst
Und was du im wahren Leben nicht alles versäumst.

Und wenn du durch die Stille gehst und es ist Nacht
Und du verwünscht alles, was du jemals getan hast, oder gedacht,
Denn am Tag hast du heute einen großen Fehler gemacht
- Nun erfüllt dich die Stille der Nacht
Und du hasst alles, was dir dieser Tag hat gebracht,
Woher willst du wissen, dass nicht irgendwo auf der Welt eine Tonne steht,
Dass nicht irgendwo abgeschieden eine kleine, blaue Tonne steht,
Die ist einsam wie du und spricht ein Gebet.

O wenn du die Stille fühlst und es ist Nacht
Und du sprichst, es ist gut, so wie ich 's gemacht
- Nun ergreift dich die Stille der Nacht
Und du erlebst jeden Traum, den du jemals erdacht,
Dann weißt du, dass irgendwo ein Irrer im Spital sitzt und der schreibt,
Dass irgendwo ein Irrer bei Kerzenschein sitzt und der schreibt:
„Er lebte drei Nächte, nun stirbt er heut.“


Wenn die Blaubeeren an der Hecke reifen

Jede Nacht schau ich aus dem Fenster
jede Nacht
Und gegenüber hinter der Hecke da steht ein altes Haus
dunkel und mächtig auch in der Nacht
Und gegenüber hinterm Kellerfenster des Hauses sehe ich einen Mann
jede Nacht
Und jede Nacht da knipst der eine Neonröhre an in der Dunkelheit
der Nacht
Und er schaut grimmig in die Nacht und brütet Stunde für Stunde
in der Nacht
Und er fasst einen Entschluss wild und unheilvoll
wie die erste Nacht
doch im Wahnsinn der letzten

Und nimmt eine Schaufel die glänzt und spiegelt das Licht der Neonröhre die er 
anknipst jede Nacht
Und er nimmt sie und packt sie fest mit beiden Händen und er schaut finster
wie die Nacht
Und er gräbt ein Loch in die Erde bis der Grund schwarz ist
wie die Nacht
Und dann siehst du durch das Kellerfenster des Hauses gegenüber im
Schein der Neonröhre einen Mann
finster wie die Nacht
Und der vergräbt seine Frau in einem Loch
dunkel und finster
ist die Nacht
jede Nacht
meint man es wäre vorbei
meint man sie wäre tot
meinst du sie wäre tot vergraben und es wäre genug

Doch am Morgen schau ich gefangen vom Wahnsinn
der letzten Nacht
Aus dem Fenster und da seh' ich einen Mann fröhlich pfeifend
wie die Vögel am Morgen
Und der schaut gut gelaunt und fleißig und der nimmt sich eine Schaufel
und die spiegelt das Licht der Morgensonne

Und er nimmt sie und pfeift „Marmorstein und Eisen bricht“ und er rammt sie in den Boden
der warm von der Sonne ist am Morgen
Und er gräbt seine Frau aus einem Loch
warm und frisch
ist der Morgen
jeden Morgen
reifen die Blaubeeren an der Hecke ein bisschen mehr.


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