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Befruchtung auf Bulgarisch oder BULGARIEN NON-IN-VITRO

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Bild: Paraskeva Nikoltscheva-Mau/Rechte:Lyrikheute, Giselher Suhr.Ich liebe dieses Bild! Ein oder zweimal draufklicken. Dann siehst du, was ich sehe!

Bulgarian non-In-vitro
Oder
Befruchtung auf Bulgarisch
Von Paraskeva Nikoltscheva-Mau

Das, was man heute kurz und bündig „In vitro“ nennt und mit  Selbstverständlichkeit die künstliche Befruchtung außerhalb der Körpers der Mutter bezeichnet, gab es früher nicht. Die Folge: Viele kinderlose Ehen und deswegen auch viele Scheidungen. Die Männer warfen oft die  Last der Schuld auf den Rücken der Frauen. Ihr Macho-Gehabe erlaubte es nicht zuzugeben, dass sie der Grund für die Kinderlosigkeit waren.


Unsere Geschichte - übrigens eine wahre Begebenheit - erzählt von der Zeit um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Uns ist es erlaubt sie nur Ihnen zu erzählen, denn sie sind verschwiegen, oder? Außerdem sind fast alle Beteiligten tot...


Der Gynäkologe den Sie gleich kennenlernen werden, nennen wir ihn Dr. Ivanov, lebte mit seiner Familie in einem kleinen bulgarischen Städtchen. Er hat sein Studium in Deutschland in der Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg absolviert und praktizierte nun in seinem kleinen Land.


Obwohl er damals eher jung ist, als alt, sagen wir mal – Anfang-Mitte vierzig, hat er es zu großer Prosperität gebracht. Im Zentrum des Städtchens kann er das schönste Haus, mit einem noch schöneren Garten, sein Eigen nennen. Die junge Frau  hat ihm hintereinander drei entzückende Kinder geboren. Er erfreut sich großer Popularität und Respekt. Nicht nur von den Bewohnern des Städtchens, nein. Es kommen Patientinnen aus ganz Bulgarien zu ihm, denn er hat sich mit einigen, „nicht ganz alltäglichen Methoden“ einen Namen gemacht, nämlich, dass er fast jeder Frau helfen kann, Mutter zu werden. Vorausgesetzt, es liegt nicht an ihr.


Zu aller erst hat er die Sterilität des ahnungslosen Ehemannes festgestellt, in dem er auf einem Stückchen Watte eine frische Spermaprobe, von der Gattin abgeluchst, unter dem Mikroskop untersucht hat. Aha, alles klar. Dann bestellte er an zwei nacheinander folgenden Tagen seine Patientinnen in ihrer fruchtbaren Zeit in seine Praxis. In dem Behandlungszimmer tönte leise und entspannend wunderschöne Musik. Die Patientin bekam ein weißen Lacken über das Gesicht gestülpt, um nichts zu sehen und nicht gesehen zu werden… und dann kam Zdravko, der Gärtner, der von Gesundheit trotzte. Sein Name sagte schon alles; denn “zdrave” heißt übersetzt Gesundheit.


Dieser Bursche aus dem Lande besaß einen guten Charakter, war sauber und ordentlich - und sah auch noch gut aus.. Er spielte abends Mundharmonika und sein blonder Schopf bewegte sich im Takt der Musik.


Ein wahrer Künstler in dem von ihm gepflegten Garten war er, vielleicht auch deswegen, weil im Herzen des Grundstückes, zwischen Jasminsträuchern und Flieder, das  Gartenhäuschen stand in dem Dr. Ivanov praktizierte.


Dort empfing er seine Patientinnen, dort übte Zdravko seine „Nebentätigkeit“ aus. Hätte dieser junge Mann die Möglichkeit gehabt, zu studieren, wäre er entweder einen guten Förster oder Gartenbauarchitekt geworden. Er aber dachte nicht so; lebte sein Leben als „Gärtner mit besonderen Aufgaben“ und man kann sagen, er war zufrieden, gar glücklich. Besonders glücklich waren die Frauen, die nach etlichen Jahren der Erwartung, endlich Mutterfreuden erfuhren. Und die Väter erst! Sie waren ganz vernarrt in „ihr“ Ebenbild!


So sprossen Jahr für Jahr lauter goldige Babys, wie Pilze nach dem Regen und ließen die Welt der Familien noch schöner erscheinen. Man kann sagen, dass dabei alle Beteiligten glücklich und zufrieden waren – die Eltern, die alles bis Dato erfolglos versucht hatten, um Kinder zu bekommen; der Gärtner und nicht zuletzt der Arzt, der sehr reich wurde. In seinem „Dienstleistungskatalog“ hatte er, nebst der Befruchtung und die Abtreibungen (nach dem Gesetz der Ungerechtigkeit wurden manche Frauen ungewollt schwanger), auch die Wiederherstellung des Jungfernhäutchen aufgenommen. Aber in einem kommunistischen Land wie Bulgarien, wo alle nach Sowjetmuster gleich und gleicher werden sollten, passte dieser arme reiche Mann, zu dem auch noch in faschistischem Deutschland studiert, überhaupt nicht ins Bild des „neuen Menschen“. Also, wurde er eines Tages von einer seinen Patientinnen, von der Gattin des Kreisparteisekretär „verpfiffen“, obwohl ihr die „Behandlungsmuster“ behutsam erörtert worden waren. Diese Frau bekam sogar eine sechsmonatigen „Kur“ zu besonderen Konditionen verpasst, aber es wollte und wollte mit dem Baby nicht klappen. An Zdravko hat es, gewiss, nicht gelegen. Danach ging alles ganz schnell. Dem Arzt wurde im nu der Prozess gemacht und ihm zwölf Jahre Gefängnis aufgebrummt. Seine junge und verwöhnte Frau, der „Schande“ nicht gewachsen, ließ sich schnell scheiden, nahm eilig nur den Koffer mit dem Geld und verließ ihr Geburtsstädtchen. Sie zog mit den Kindern in die Hauptstadt. In Sofia kannte sie keiner und so ließ sie ihre Kinder sorglos, aber ohne Vater groß werden. Denn wer nimmt eine Frau mit drei Kindern? Das kann, unter uns gesagt, nur in den westlichen Ländern passieren.


In das wunderschöne Haus in der Provinz zog ein Kindergarten und ein Pionierclub ein und binnen paar Jahren, nach der Gesetzmäßigkeit des Systems – „alles dem Volke, aber nichts gehört uns wirklich“, verfiel alles, alles ging zum Bruch. Der Garten wurde zertrampelt, dörrte aus und ähnelte bald einen verwunschenen Märchengarten. Unsere Geschichte wäre vielleicht hier schon zu Ende, hätten wir nicht noch einiges zu berichten…


Die Jahre vergehen – manchmal schnell, manchmal langsam – je nach dem, was für Schicksalspäckchen man gerade zu tragen hat.


Die Frau des Arztes musste als Pflegerin in einem Krankenhaus arbeiten, als eines Tages der Geldkoffer dann doch leer war. Nur sie selbst weiß, wie schwer es  ihr fiel. Erinnerungen an besseren Zeiten geben selten Ruh, wenn wir in der Misere stecken. Vor kurzem hat sie ihren Nachbar - einen Straßenbahnschaffner geheiratet, den Witwer mit zwei erwachsenen Kindern.


Die drei Kinder von Dr. Ivanov sind anständige Menschen geworden: Eine Krankenschwester, eine Hebamme und ein Elektriker, die eigene Familien gegründet haben. Da sich die Zeiten geändert haben, versuchen sie mit allen Mitteln ihr Geburtshaus, oder das, was davon übrig geblieben ist, zurück zu bekommen.


Der Arzt, seiner Approbation enthoben, ging, nach sieben Jahren Gefängnis, in seinen Geburtsdörfchen an der Donau zurück, wo er heute noch bescheiden lebt. Hier wusste niemand, was genau ihm widerfahren war. Es wurde gemunkelt, die Kommunisten seien Schuld, dass er seine Frau verloren habe. Da er sich aber rührend um die Dorfbewohner und die eigenen Eltern kümmerte, kostenlos den Blutdruck von Allen mass und immer zur Stelle war, wenn er für Mensch und Tier gebraucht wurde, krähte kein Hahn danach, was in den Sechzigern mit ihm los war.


Und nun zum Gärtner. Als ihm während des Prozesses zu bunt wurde und er es Leid war, sich zur Mastbulle reduzieren zu lassen, flüchtete er aus der Volksrepublik und landete in Las Vegas. Seine Landsleute dort waren vorwiegend Kellner und so ergriff auch er diesen Beruf. So vergingen auch seine Jahre, man kann mit Hand aufs Herz sagen – gut. Er hat eine ganz tolle Amerikanerin, was nicht immer der Fall ist, geheiratet. Sie hatten eine Menge Freiheit, ein kleines schmuckes Häuschen, zwei Autos und ein Hund. Was sie nicht hatten war ein Kind. Zdravko nahm gleich die Schuld auf sich und das Glück der beiden schien perfekt. Sie wogen sich in idyllischer Harmonie und Zufriedenheit, bis eines Tages…


Zdravko hatte letzte Nacht etwas Schönes geträumt, konnte sich jedoch wie immer, nicht erinnern was. Er ist eine Frohnatur, seine Laune  war heute besonders gut. Am Abend galt es, eine Gruppe aus seiner fernen Heimat zu bedienen. An und für sich ist das heutzutage nicht wer weiß was besonderes. Nach dem Fall der Berliner Mauer, reisten die „Ost- Menschen“ in die Weltgeschichte herum, wie losgelassen. Und diese junge Bulgaren hier waren gekommen, um in Palace Hotel sich die Show des großen Magier David Copperfield, anzusehen. Und dann geschah es.


Zdravko ist gerade im Begriff das Tablett hinzustellen… aber auf einmal ist er wie hypnotisiert. Sein Blick ist gefangen. Es ist der Ring an der Hand einer jungen Bulgarin. Er ist ihr sichtlich zu groß und sie trägt ihn auf dem Zeigefinger. Mein Gott, er kennt diesen Ring! Das darf nicht wahr sein! Er ist einmal bei der „Behandlung“ vom Finger einer Patientin abgerutscht und auf dem Boden gekullert. Er persönlich hat ihn aufgehoben und ihn ihr, ohne was zu sagen, auf dem Ringfinger gestreift. Dabei hat er festgestellt, dass diese Frau sehr schöne und gepflegte Hände hatte, außer… Er holt tief Luft, begrüßt seine Landsleute auf Bulgarisch, dann bückt sich leicht zu dem goldgelockten Kopf der jungen Frau und sagt, leicht hüstelnd: „Sie werden entschuldigen, Madamme, ich habe diesen Ring mal an einer sehr schönen Hand gesehen... Einer zarten, zierlichen Hand mit einer winzigen Narbe auf dem Handrücken. Wie ein Stern! „Ach, wirklich?!“, strahlt ihn die junge Frau an, „Da müssen Sie… meine verstorbene Mutter gekannt haben!“


Nun, Ihr Lieben, Euch ist es überlassen die weitere Entwicklung der Geschichte zu Ende zu spinnen… Ups! Ich muss jetzt unter dem Tisch krauchen, um meinen Ring zu suchen…


Alle Rechte bei: Paraskeva Nikoltscheva-Mau

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